Wer sich mit barrierefreien PDF-Dokumenten beschäftigt, stolpert früher oder später über den Begriff „Umfließen-Modus“. Dazu heißt es dann auch in diversen Anforderungschecklisten, Ausschreibungen oder Angebotsanforderungen oft, dass das sogenannte „Umfließen-Modus unterstützt werden muss“ oder auch konform gemäß „BITV + Umfließen“. Verbreitet ist dieses Anforderungen insbesondere bei deutschen Bundesbehörden, da hier einfach aus der Leistungsbeschreibung der für die Bundesbehörden relevanten »Musterausschreibung für die externe Erstellung von barrierefreien PDF-Dokumenten« vom Informationstechnikzentrum des Bundes (ITZ, Bund zentraler IT-Dienstleister), in der dieser Passus enthalten ist, kopiert wird.
Aber was ist denn der Umfließen-Modus? Und – kleiner Vorgriff ins Thema – warum ist dieser nicht essenziell für barrierefreie PDF-Dokumente?
Intensiver habe ich mich mit der Thematik in Kapitel „2.4 Mythen um barrierefreie PDF-Dokumente“ in meinem Buch „Barrierefreie PDF-Dokumente erstellen“ auseinandergesetzt, aus dem ich den passenden Teil hier publizieren möchte:
2.4.3 Barrierefreie PDFs brauchen den Umfließen-Modus
Einer der wahrscheinlich größten Mythen von barrierefreien PDF-Dokumenten, auch wenn mir hier wohl einige Menschen vehement widersprechen, ist der sogenannte Umfließen-Modus (auch Umfließen-Anzeige) in Adobe Acrobat (Reader/Standard/Pro), der inzwischen unter anderen Namen in verschiedenen Formen auch in anderen PDF-Anzeigeprogrammen enthalten ist. Dabei handelt es sich um eine alternative Seitendarstellungsform. Der Umfließen-Modus soll die besonders aus Sicht der Barrierefreiheit größte Schwäche des PDF-Formates, die unflexible Ansicht der Seitenelemente, beheben. Dabei wird der Inhalt der Seite, ähnlich wie bei einer modernen, responsiven Webseite, dynamisch an die Größe des Bildschirms angepasst und der Text bricht je nach Darstellung neu um. Ebenso lassen sich auch einige Parameter der Anzeige anpassen, beispielsweise die Schriftgröße und bestimmte Kontrastmodi.
Das klingt erst einmal genau nach dem, was durchaus wünschenswert ist: eine durch die Nutzer*innen anpasste Ansicht der Inhalte.
Der Schein jedoch trügt, leider. Bei dieser Art der Anzeige gibt es nämlich diverse Einschränkungen und Probleme, derer Sie sich bewusst sein sollten:
- Technologisch verwendet der Umfließen-Modus leider keine Informationen aus der Tagging-Struktur von PDF-Dokumenten, auch wenn die Acrobat-Hilfe dies fälschlicherweise anders behauptet. Haben Sie also ein getaggtes PDF erstellt, werden die von Ihnen bereits getätigten Arbeiten für die Lesereihenfolge und Semantik durch den Umfließen-Modus komplett ignoriert. Sie müssen daher zwei komplett getrennte Arbeitswege beschreiten, damit neben dem Tagged PDF auch ein für den Umfließen-Modus optimiertes PDF entsteht. In Erstellungsprogrammen gibt es zwar durchaus Steuerungsmöglichkeiten für die Anzeige im Umfließen-Modus, diese sind jedoch nicht sehr nutzerfreundlich und garantieren nicht in jedem Fall Erfolg. Der oft hohe und in meinen Augen nicht vertretbare Aufwand für das Implementieren des Umfließen-Modus zusätzlich zu PDF-Tags steht in keiner Relation zum Nutzen.
- Der Umfließen Modus funktioniert nicht für alle Dokumente, es kann also gar nicht jedes PDF umflossen werden. Bestimmte Elemente, beispielsweise Formularfelder, verhindern ein Umfließen. Wenn aber etwas nicht für 100 % der Dateien funktioniert, ist es für die Anwender*innen nicht verlässlich nutzbar. Auch bei diesbezüglich unproblematischen Dokumenten können verschiedene Programmprobleme (Bugs) eine korrekte Anzeige verhindern. Ein absehbares Endergebnis für alle Konsumenten ist aber alternativlos.
- Der Umfließen-Modus ist auch nicht Teil der PDF-Spezifikation, sondern lediglich Teil des Programmcodes von Acrobat. Damit ist es anderen Herstellern nicht möglich, die Funktion auf dieselbe Art und Weise zu implementieren. Es handelt sich daher um eine proprietäre Technologie. Wie bereits erwähnt, ist das Optimieren von barrierefreien Dokumenten auf ein Programm nicht gestattet. Weiterhin ist es nicht statthaft, Nutzer*innen die Verwendung einer bestimmten Software vorzuschreiben.
- Der Umfließen-Modus zeigt Seiteninhalte standardmäßig auf weißem Untergrund an, auch wenn das Dokument im Ursprungszustand ggf. mit einem farbigen Hintergrund gestaltet war. Dadurch ist z. B. weiß gestalteter Text nicht mehr sichtbar, da die Schriftfarbe standardmäßig nicht angepasst wird, woraus folgt, dass eigentlich kein weißer Text mehr genutzt werden dürfte. Das ist wenig realistisch und praxisfremd.
(Ich bin Personen begegnet, denen tatsächlich der Einsatz von weißer Schrift verboten wurde. Eine solche Einschränkung verstärkt den schlechten Ruf von Barrierefreiheit.) - Die Anzeige der Inhalte kann zu unerwünschten Resultaten führen. Text legt sich über Bilder oder, noch schlimmer, Bilder über Text. Auch durch Positionen im Layout vermittelte Botschaften, z. B. zeigt ein Pfeil auf ein Objekt, können verloren gehen. Eine verlässliche, absehbare Behebung solcher Anzeigeprobleme ist nicht möglich, denn die genaue Funktionalität der Anzeige ist nirgends technisch dokumentiert.
- Eine alternative Ansicht bedeutet, dass etwas gesehen werden kann. An erster Stelle haben also blinde Konsument*innen keinen Vorteil von dieser Funktion. Auch andere Gruppen von Nutzer*innen ziehen wenig oder keinen Vorteil aus dieser alternativen Darstellungsform des Inhaltes. Dokumente mit hohem zusätzlichem Aufwand nur für bestimmte Gruppen von Nutzer*innen barrierefrei aufzubereiten, ist ineffektiv. Falls Sie davon immer noch nicht überzeugt sind: Auch Webseiten gibt es nicht in verschiedenen Versionen, also jeweils eine für jede Gruppe von Nutzer*innen und deren Bedürfnisse. Warum sollte es dann im PDF anders gehandhabt werden?
Es gibt noch etliche weitere Punkte, aber ich denke, Sie haben so schon einen guten Eindruck zum Umfließen-Modus bekommen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Umfließen-Modus einigen Nutzer*innen sicherlich Vorteile bringt, jedoch im Sinne eines gleichberechtigten Zuganges für alle Konsument*innen nicht zu einem zufriedenstellenden Ergebnis führt.
Da sich der Umfließen-Mythos bis heute hartnäckig hält, ist er in vielen öffentlichen Ausschreibungen als Merkmal eines barrierefreien PDF gefordert – verklausuliert heißt es dort auch oft: »Schrift skalierbar auf 150 %«. Keine gesetzliche Vorgabe oder Richtlinie fordert jedoch diesen Modus. Weiterhin wird aus Unwissenheit um das Thema barrierefreie PDF-Dokumente oft auf Musterausschreibungen zurückgegriffen, von denen viele den Umfließen-Modus als Anforderung enthalten. So multipliziert sich die Verfestigung des Mythos mehr und mehr und verstärkt den Glauben daran, dass der Umfließen-Modus wohl ein wichtiges Merkmal barrierefreie PDF-Dokumente sein muss.
Das ist auch durchaus verständlich. Denn es gab früher nur wenige PDFs mit Tags, und die Werkzeuge zur Erstellung selbiger waren kaum nutzbar. Somit wurde dies für die meisten zum Weg bei der Umsetzung und damit zu einem De-facto-Standard – es war eben der beste Weg. Daher hat sich gerade auch bei Nutzer*innen des Umfließen-Modus der Glaube an diese Technik über Jahre verfestigt – es wurde so gelernt und verinnerlicht. Heute ist die Sachlage aber eine andere. Das Vermitteln dieses Wandels hin zu Tagged PDF als bessere und fähigere Technik und gegen die »Das haben wir aber schon immer so gemacht«-Haltung ist schwer, aber notwendig, auch wenn dies für einige Nutzer*innen zunächst als Rückschritt erscheint. Wenn barrierefreie PDFs endlich aus der Nische herausgeholt und zu gelebtem Alltag gemacht werden sollen, ist dieser Weg unabdingbar. Aus diesem Grund wird im Fortlauf des Buches der Umfließen-Modus an sich und Wege, wie derartige Dokumente erstellt werden, nicht thematisiert.
Das Schlimme an dem Umfließen-Modus-Dilemma: Oft genug habe ich erlebt, dass Dokumente deshalb nicht barrierefrei gemacht wurden, weil das Erstellen eines PDF mit funktionierendem Umfließen-Modus wesentlich teurer war als die Dokumentenerstellung an sich. In meinen Augen ist der Umfließen-Modus einer der Hauptgründe für die Vielzahl schlechter barrierefreier Dokumente und somit für den schlechten Ruf barrierefreier PDFs an sich. Die für die Anpassung von PDF-Dokumenten an den Umfließen-Modus eingesetzten Ressourcen, die meist erheblich sind, sollten lieber in das Erstellen von barrierefreien Dokumenten investiert werden, die allen Nutzer*innen helfen.
Wie Sie insbesondere als Dienstleister*in mit der kundenseitigen Anforderung nach dem Umfließen-Modus umgehen, thematisiere ich in Kapitel 5.5 hier geht es erst einmal nur um die technische Seite.
Merke: Der Umfließen-Modus ist keine Voraussetzung, sondern eher ein Hindernis für ein barrierefreies PDF.
Danke für den Artikel. Die „Lesereihenfolge“ in Acrobat beeinflußt die Darstellung im Umfließen-Modus, richtig? Heißt – das Tool „Lesereihenfolge“ in Acrobat sollte eigentlich nicht benutzt werden?
Hallo Michael,
das Werkzeug „Lesereihenfolge“ hat durchaus sinnvolle Funktionen, aber korrekt erkannt, vom Einsatz für die Definition der Ausgabereihenfolge für barrierefreie PDFs rate ich ab.